

Kettcar & Muff Potter
11. August 2019 @ 17:30
Kettcar
„Ich vs. Wir“
Nein, es war nie aus mit Kettcar. Klingt beruhigend, nicht wahr? Ändert aber auch nichts an der Tatsache, dass die Band für Jahre keinen Puls mehr spürte, im Straßengraben lag, ready to die oder keine Ahnung. Irgendwo aus dem eigenen Tourbus gefallen im riesigen Niemandsland zwischen Saarbrücken und Rostock, keine Tanke, nicht mal ein Autohof in der Nähe. Jetzt das neue Album „Ich vs. Wir“, hochpolitisch, präzise, Energie, fegt alles weg. JAOK, was zur Hölle ist denn hier passiert?
Die letzte Kettcar-Platte stammt von 2012, danach hatten die Hamburger Actionfiguren keine Luft mehr. Sänger Marcus Wiebusch schwenkt ein auf seine Solo-Platte, die Band bleibt bestehen, doch es herrscht Erschöpfung und erheblicher Zweifel daran, ob man die Stille gegenüber den anderen und in dem großen gemeinsamen Projekt je wieder wird brechen können – und wollen.
Viele langlebige Bands, die die Autobahnen und Venues verstopfen, haben sich selbst längst zu abgehalfterten GbRs ihrer selbst runtergerechnet. Meist ohne sich das einzugestehen, dann klappt’s besser. Für eine Band wie Kettcar war das keine Option.
Letztes Jahr tat sich dann aus dem Nichts etwas auf. Auf dem Papier vielleicht gar nicht mal spektakulär: Bassist Reimer Bustorff und Marcus übernahmen einen Job am Theater in Kiel. Es galt, „Die Räuber“ von Schiller irgendwie in eine Art Rockoper zu überführen. Warum nicht? Die neue War-On-Drugs-Platte klingt streng genommen doch auch wie eine Rockoper, aber was noch viel wichtiger ist, über diese Arbeit an der Förde fanden sich beide Songschreiber wieder, ihre gemeinsame Sache fing erneut Feuer. Man konnte sich beim Brennen zusehen und genoss es. Jetzt wieder raus, jetzt wieder alles!
Doch wenn man das tun wollte, das war allen bewusst, konnte es nicht um’s schnöde Weitermachen gehen. Zurück am Arbeitsplatz in Rock, oder was? Nein, man brauchte eine Platte, die all das ausmacht, was diese Band sein kann, man brauchte Songs, die all das nageln, was der Zeitgeist zwischen der „Menschen, Leben, Tanz, Welt“-Soße und Selbstvergewisserungs-HipHop so verlässlich ausspart.
„Ich vs. Wir“ ist tatsächlich dieses Fanal geworden, da lege ich mich fest. Kettcar-Songs besitzen ja allein durch Marcus‘ Stimme etwas sehr Kenntliches, fast Mantra-haftes. Wenn auch die Musik darauf einsteigt, ist man schnell in einem Fluss, die Gitarren rauschen, die Worte auch. Doch auf „Ich vs. Wir“ hat alles Rauschen Pause. Unzählige Ideen, Varianten, Brüche, Zuckerstücke treiben die Songs, halten in Atem. Soviel Präsenz war selten in Pop. Was auch daran liegt, dass das Songwriting aufgefächert wurde wie in ganz frühen Anfangstagen. Reimer steuerte wieder viel bei und auch Gitarrist Erik Langer erdachte diverse Parts – die neuerweckte kollektive Kreativität der ganzen Band befeuert dann auch Marcus spürbar. Hier jedenfalls finden sich einige der besten und intensivsten Texte, die man von ihm je gehört hat.
Ihr seid immer nur dagegen, macht doch mal bessere Vorschläge. „Ich vs. Wir“ gelingt es, gefühlte Hilflosigkeiten zu überwinden. „Irgendjemand sagt Gutmensch – und du entsicherst den Revolver“ ist etwas, das hängenbleibt. In dem zugehörigen Stück wird dabei nicht nur geballert, sondern Kettcar haben sich der Aufgabe gestellt, auch einen Song „für“ etwas zu schreiben in dieser sonst so schlagkräftigen Selbstverteidigungs-Revue. Das Album am pointiertesten bringen aber vielleicht folgende Zeilen auf den Punkt: „Keine einfachen Lösungen zu haben, ist keine Schwäche!“
Das ganze Maulaufreißen überall darf einen nicht sprachlos machen. Im Gegenteil. Davon handelt vieles auf dieser Platte. Wobei alles auf das sehr zentrale Stück „Sommer 89 (Er schnitt Löcher in den Zaun)“ zuläuft. Es zeigt Parallelen auf zwischen dem Ende der DDR und aktueller Grenzrealität. Denn wie viel Kraft das Überwinden von Zäunen besitzt, ist einem mitunter kaum noch präsent, wenn man nachts nie mehr über die Mauer vom Schwimmbad klettert und Weltgeschehen nur noch über Bildschirme wahrnimmt. Dieses Stück holt einen mit Macht zurück, ein Song wie ein Bolzenschneider. Und es bleibt die brennende Erkenntnis, dass Humanismus nicht verhandelbar ist.
Das hier ist nicht einfach irgendwas. Das ist Kettcar 2017.
Text: Linus Volkmann
Muff Potter
Muff Potter sind zurück
Wüsste man es nicht besser – und stünden diese Sätze in einem Buch, so einem, wo ein mächtig sprachbegabter Musiker aufregende Momente seiner Biografie zur Vorlage furioser Fiktion nimmt, und dann mit Gedanken und Figuren herrlich fliegen geht, so jemand vielleicht wie der weithin gefeierte Selfmade-Romancier Thorsten Nagelschmidt aka Nagel – hielte man den folgenden Satz zweifellos für reine Fantasie, denn nichts schien absurder: Muff Potter kehren zurück auf die Konzertbühnen! Tatsächlich und in Farbe und Fleisch und Blut! Und das gleich für sieben Konzerte deutschlandweit. Nach fast einem Jahrzehnt konsequenter Stille, mit den Original-Protagonisten, mit der Wut von damals und all diesen Songs, die sehr vielen sehr guten Menschen im Deutschland des Neumillenniums zum Ausdruck der eigenen Widersprüchlichkeit und Fehlerhaftigkeit wurden. Die sieben Alben und zahllosen EPs und Singles, die Muff Potter zwischen 1996 und 2009 veröffentlichten, gerieten weit über die Szene hinaus zu wahren Manifesten einer textlich wie kompositorisch selten klugen Punk-Dringlichkeit, zu scharfzügigen, entlarvenden, aber auch selbstgeißelnd introspektiven Sturmböen der Wahrhaftigkeit. Anfangs ebenso stark vom Geist des frühen Politpunks Marke Slime, …But Alive oder EA80 geprägt wie vom krachenden und bisweilen scheppernden Alternative-Rock zwischen Dinosaur Jr., Hüsker Dü oder Fugazi, entwickelten sich Muff Potter unter der Ägide ihres Sängers, Gitarristen und Texters Thorsten Nagelschmidt zu wahren Meinungsführern der deutschen Subkultur und geradezu literarischen Meistern der feinen Beobachtung. Nicht nur textlich, auch klanglich und ästhetisch: Beginnend mit dem dritten Album „Bordsteinkantengeschichten“ verließ das Quartett, das sich schon 1993 in Rheine aus den Resten verschiedener Bands gegründet hatte, immer mehr mit freudvollem Vorsatz die angestammten Punk-Wurzeln, spielte auf jedem weiteren Album mit neuen, zusätzlichen Instrumenten, Intensitäten und Inspirationen und schuf damit einen unverkennbaren Muff Potter-Sound. Selbst der schwierige Spagat zwischen überzeugter DIY-Attitüde – sie hatten bereits zur Veröffentlichung ihres Debütalbums mit Huck’s Plattenkiste ihr eigenes Label gegründet – und dem Flirt mit dem Big Biz in Form eines Vertrags mit dem Marktführer Universal gelang über zwei Alben und brachte neue Nuancen in Text und Ton, ohne ihre treu verfolgten Werte von entlarvend aufrichtiger Musik zu verwässern. Trotzdem kehrten Muff Potter 2009 mit „Gute Aussicht“ stilistisch und geschäftlich wieder zurück in ihre natürliche Keimzelle der Subkultur und in ihre Rolle als pointierter Stachel im allzu schalen Pop-Fleisch. Und doch: Mit dieser Platte, die vielen Fans seit den Frühwerken als die unmissverständlichste gilt, schloss sich der Kreis für Muff Potter. Denn Nagel, der bereits 2007 seinen autobiografischen Debütroman „Wo die wilden Maden graben“ veröffentlicht hatte, fand im Schreiben eine stärkere Kraft und dringende Notwendigkeit. Entsprechend wurde stets von allen Mitgliedern die Möglichkeit einer Wiedervereinigung verneint; es schien ausgemacht, dass Muff Potter für immer ein Ereignis unserer Erinnerung bleiben. Ironischerweise brachte ausgerechnet eine Lesung Nagels, der mit seinem aktuellen, dritten Roman „Der Abfall der Herzen“ sein bislang persönlichstes Buch schrieb und es deshalb erstmals unter seinem wahren Namen Thorsten Nagelschmidt veröffentlichte, eine auch für die Hauptakteure ungeahnte Wendung: Ende Februar standen während seiner Lesung im Berliner Festsaal Kreuzberg plötzlich drei Viertel der Band gemeinsam auf der Bühne und spielten einige Songs zur nachgerade ekstatischen Freude aller Anwesenden. Was nur als einmaliges Bonbon gedacht war, entwickelte über die letzten Monate offenbar eine Eigendynamik, die den Beteiligten neuen Schub verlieh, wie sie selbst lakonisch kommentieren: „Unser Schlagzeuger hat sein Schlagzeug wiedergefunden. So führte eins zum anderen.“ Und deshalb nun also die Sensation: Muff Potter sind wieder da. Für sieben Konzerte – und sie bringen obendrein ihre Alben als neu gepresste Vinylversionen mit, neben einer ganz neuen Muff Potter-Compilation auf CD und Vinyl, die viele, selbst dem beinharten Fan teils unbekannte rare Tracks und Alternativ-Versionen vorstellt. Und prompt fühlt sich die Welt etwas weniger kalt, unwirtlich und abweisend an.
Zu Gast: FORTUNA EHRENFELD